Die Wedernoch (German Edition) by Stefan Bachmann

Die Wedernoch (German Edition) by Stefan Bachmann

Autor:Stefan Bachmann [Bachmann, Stefan]
Die sprache: deu
Format: azw3, epub, mobi
Tags: Roman
ISBN: 9783257604306
Herausgeber: Diogenes Verlag AG
veröffentlicht: 2014-09-23T22:00:00+00:00


ZWÖLFTES KAPITEL

Der Maskenball

Nach dem Vorfall in Piscaltines Stuhlzimmer richteten alle Uhren im Haus ihre Zeiger auf die Stunde des Zorns, und dort verblieben sie während der nächsten zwölf Nächte.

Hettie traute sich kaum noch, ihre Kammer zu verlassen. Mitleidsfeen streiften jetzt fast beständig durch die oberen Stockwerke. Hettie hörte sie auf den Korridoren heulen und schnuppern, manchmal direkt vor ihrer Tür. Sie hörte die Schreie der Diener und das Zwitschern der Rekonstruktionisten, die sich in ihren Geschirren davonschwangen. Aber die Mitleidsfeen waren bei weitem nicht ihr größtes Problem. Florence La Bellina hatte Yearn-am-Wald nicht zusammen mit den anderen Belusiten verlassen. Sie befand sich noch immer im Haus. Und jedes Mal, wenn sich Hettie entlang der Leitern und Flaschenzüge in den unteren Bereich des Hauses hinabstahl, entdeckte sie eine von ihnen – manchmal die bleiche Hälfte, manchmal die dunkle Hälfte – oder sogar beide zusammen. Es konnte vorkommen, dass Hettie auf dem Rückweg von der Toilette war oder von der Küche mit einem mürben Stück Kuchen in der Hand, und dann erhaschte sie einen Blick auf Florence und Florence einen Blick auf sie, und im Nu war die Belusite ihr auf den Fersen. Sie löste sich aus der Finsternis und machte Jagd auf sie, und Hettie musste klettern und kriechen und rennen, so schnell sie konnte, um sie wieder abzuschütteln, aber Florence kam ihr jedes Mal ein wenig näher, ihr und ihrem Versteck auf dem Dachboden.

Hettie saß auf ihrem Bett und starrte zur Tür. Sie war mit einem nicht sehr massiven Riegel verschlossen, und Hettie hatte einen Stuhl unter der Klinke verkeilt. Außerdem hatte sie eine ganze Reihe von Schlössern daran angebracht, die sie aus Löffeln und anderen Kochutensilien selbst gebastelt hatte. Aufhalten würden sie niemanden, aber sie fühlte sich damit ein wenig sicherer.

Aus dem Korridor drang ein Surren zu ihr herein, gefolgt von einem Klicken. Dann hallte das Schlagen der Standuhr die Wände entlang. Hettie wartete und lauschte. Zwei Schläge für die Stunde des Frohsinns, drei für die Stunde des Zorns. Sie wartete. Das Geräusch verklang. Im Korridor herrschte wieder Stille. Ein Schlag für die Stunde der Melancholie. O nein…

Sie stand auf, setzte sich, klopfte sich nervös auf die Knie. Die Uhr spiegelte Piscaltines Laune wider, so dass die Rekonstruktionisten und die anderen Diener das Haus nach ihren Wünschen einrichten konnten. Die Stunde der Melancholie bedeutete immer, ohne Ausnahme, dass Piscaltine nach Hettie verlangte. Aber Hettie wollte die Feendame nicht sehen. Nie wieder. Vielleicht wollte Piscaltine ja auch gar nicht sie sehen, und die Uhr hatte einfach nur geschlagen, und Piscaltine war melancholisch, ohne Wert auf Hetties Anwesenheit zu legen.

Gong schlug die Uhr erneut.

Hettie sprang auf die Füße. Der Glockenschlag hallte lang und feierlich durchs Haus, und die übrigen Standuhren antworteten ihr. Es gab keinen Zweifel. Piscaltine wartete auf sie.

Hettie schlüpfte aus dem Zimmer hinaus. Mitleidsfeen trieben sich auf den Korridoren keine herum, dafür aber viele andere Kreaturen – mehr, als Hettie so weit oben im Haus jemals gesehen hatte. Sie flitzten an ihr vorbei, in Türen hinein und weiter unten wieder aus Türen heraus, wobei sie Eimer voller Staub und Wasser und Farbreste trugen.



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